Dolomiten: Besuchermassen mit Ausblick

Pragser Wildsee, Dolomiten
Jeder Ort, den man auf reisen besucht, hinterlässt bei uns einen Eindruck. Bleibt uns mit den dort verbrachten Momenten und seinen einzigartigen Gegebenheiten in Erinnerung. Positiv, vielleicht auch negativ. Und manchmal erzeugt er ganz gegensätzliche Gefühle und Emotionen in uns, die wir dann mit im Gepäck wieder heim nehmen. Für uns sind die Dolomiten so ein Ort, die wir während unserer Rundreise durch Italien während der Pandemie besucht haben.

Dolomiten: Mehr als erwartet

Erwartungen sind immer so eine zwiespältige Sache. Vieles wäre einfacher, wenn man sich von ihnen einfach lossagen könnte. Denn so schön das Gefühl ist, wenn unsere Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen werden, so niederschmetternd und frustrierend kann es sein, wenn sie enttäuscht werden.

Wie vor jeder Reise haben wir uns natürlich informiert, bevor wir die Dolomiten in unsere Route einplanten. Zugegeben, viel Zeit hatten wir nicht, als wir Pragser Wildsee und Drei Zinnen als Ziele in den Reiseplan eintrugen. Denn aufgrund der Pandemie stand erst wenige Tage vor Abfahrt fest, wo es überhaupt hingehen sollte. Reisen trotz Corona verlangt einem schließlich eine gewisse Spontanität ab, wenn man möglichst sicher und unter Beachtung aller geltenden Vorschriften unterwegs sein möchte.

Dennoch überzeugten uns die zauberhaften Bilder von Instagram und Reiseplattformen sowie die begeisterten Erzählungen von Freunden und Verwandten im lockdownbedingten Videochat. Und schwupps standen die Dolomiten auf der Travellist. Vor unserem inneren Auge sahen wir uns bereits um malerische Bergseen spazieren und bei Wanderungen zwischen einzigartigen Gipfelformationen fernab der Zivilisation die frische Bergluft schnuppern.

Dolomiten. Das war mehr als erwartet. Schließlich hatten wir nicht mehr wirklich damit gerechnet, im Pandemiejahr 2020 doch noch verreisen zu dürfen. Und dann sogar ins Ausland. In eine landschaftlich so umwerfende Region. Der absolute Vollwahnsinn. Uns war natürlich bewusst, dass die Dolomiten ein sehr beliebtes Reiseziel sind. Auch wenn die Fotos in den unendlichen Weiten des Internets häufig anderes vorgaukeln. Dass es die Einsamkeit und Idylle, die einem suggeriert wird, wahrscheinlich nicht in der Form geben würde. Dennoch keimte die Hoffnung auf, dass der Besucheransturm sich in Grenzen halten würde. Außerhalb der Ferienzeit in der Nebensaison unter den beschwerlichen Reiseregeln der Pandemie zu reisen, könnte sich auszahlen. Es würde sicherlich nicht mehr werden, als unter diesen Gegebenheiten erwartet.  

Pragser Wildsee: Massenandrang im Kleinod

Tief hingen die Regenwolken über dem Pragser Tal, als wir am frühen Morgen am Pragser Wildsee (ital. Lago die Braies) ankamen. Nun gut, Niesel und Nebel waren zwar nicht gerade das beste Herbstwetter, aber im Gegensatz zu so manch anderem Reisenden sind wir ja bekanntermaßen nicht aus Zucker. Die Straßen waren leer und ließen gutes vermuten. Pragser Wildsee, Dolomiten

Verkehrskollaps im Naturparadies

Weit und Breit keine Spur von den sommerlichen Sperrungen der Zufahrtswege, die seit ein paar Jahren von den Behörden zum Schutz von Anwohnern, Infrastruktur und Natur erlassen werden. Zu groß der Ansturm an Besuchern, die sich täglich mit Mopeds, Bussen und PKW in endlosen Kolonnen ins Tal drängen. Die sich in endlosen Kolonnen über die Straße schieben. Und während des verzweifelten Wartens auf einen freien Parkplatz auf einem der riesigen Plätze am Seeufer lange Staus verursachen und durch illegales Falschparken die Wege blockieren.

Um den Verkehrskollaps abzuwenden werden daher in den Sommermonaten von Juli bis September von morgens bis nachmittags die Zufahrten zum See beschränkt. Durch kommt dann nur, wer radelt oder wandert, im Shuttlebus sitzt (Achtung: Onlinereservierung notwendig) oder vorab einen Parkplatz am Seeufer gebucht hat und die Reservierung entsprechend vorweisen kann.  

Das hatten wir uns anders vorgestellt

Der Blick vorbei am quietschenden Scheibenwischer auf die nasse Straße blieb staufrei. Entsprechend überrascht waren wir, als wir uns den großen Parkplätzen näherten und deutlich mehr Schirme und Regenjacken auf und neben der Straße entdeckten, als wir gehofft hatten. Zahlreiche Reisebusse und eine beachtliche Menge an PKW besiedelten bereits die ausgedehnten (und selbstverständlich kostenpflichtigen) Parkflächen. Und das bereits um 08.30 Uhr. Mitten unter der Woche an einem verregneten Herbsttag. Na, schönen guten Morgen, das hatten wir uns ehrlich gesagt etwas anders vorgestellt. Wie muss es da erst an einem schönen Sommertag zur Ferienzeit zugehen? Wir wollten es uns ehrlich gesagt gar nicht erst ausmalen …

Selbst bei schlechtem Wetter bildet der Pragser Wildsee eine wahnsinnige Kulisse. Türkisblaues Wasser, in dem sich Nebelfetzen und die das Seeufer umringende Berge spiegeln. Kein Wunder, dass dieser Naturschatz gerne als Perle der Dolomiten bezeichnet wird. Es ist einfach ein wahrlich schönes Fleckchen Erde. Das haben nicht nur wir so empfunden, sondern auch die unzähligen anderen Touristen, die sich gemeinsam mit uns über den etwa 3,5 km lagen Rundweg entlang des Sees schoben. Pragser Wildsee, Dolomiten An die bestehende Maskenpflicht, auf die alle paar Meter mit riesigen Schildern in diversen Sprachen hingewiesen wurde, und die Abstandsregeln hielt sich kaum jemand. Weder die vielen Einheimischen noch die ausländischen Besucher störten sich bei der Jagd auf den besten Fotospot an den Pandemieregeln. Anrempeln, Durchquetschen oder den Weg und die Aussicht für die private Fotosession blockieren – so manch einer fuhr alle Geschütze auf um das perfekte, instagramtaugliche Erinnerungsbild zu erhaschen. Von Idylle und Natürlichkeit keine Spur im Naturparadies.

Ein hausgemachtes Problem

Durch das Schaffen von Parkmöglichkeiten und Shuttlebussen wurde der See der breiten Masse zugänglich gemacht. Bequeme, meist flache Wege und touristische Infrastruktur in Form von Hotel, Souvenirshops, Bistro, Toilettenanlagen und dem beliebten (und unverschämt teuren) Kanuverleih ziehen (zahlungskräftige) Tagesausflügler an und machen ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich. Das kurbelt an und um den See die Wirtschaft an und füllt natürlich ordentlich die Steuerkassen, geht aber am Ende auf Kosten von Natur und Umwelt. Pragser Wildsee, Dolomiten  

Drei Zinnen: Wandern zwischen Frust und Gipfellust

Ähnliches mussten wir leider auch an den Drei Zinnen erleben. Ein Bergpanorama wie aus dem Bilderbuch. Aber auch hier das gleiche Szenario. Drei Zinnen, Dolomiten

Anderer Ort, ähnliche Probleme

Trotz mittelprächtigem Wetter, früher Uhrzeit und pandemiebedingter Reisebeschränkungen war der Andrang bereits groß, als wir den Wagen auf dem Parkplatz am Ende der Mautstraße zur Auronzohütte abstellten.

Während sich der Besucherstrom auf dem ersten Abschnitt zur geschlossenen Lavaredohütte noch irgendwie verteilte, stauten sich die Wandersleute beim Aufstieg zum Paternsattel unter den mächtigen aber leider in Regenwolken versunkenen Drei Zinnen. Auf dem weiteren Weg zur Drei Zinnen-Hütte hieß es dann „überholen und überholt werden“. Ein eigenes Wandertempo zwischen all den Leuten zu finden war mehr als schwierig, hatte man doch permanent den Eindruck, durch andere behindert zu werden oder selbst ein Hindernis darzustellen. Die fantastische Aussicht auf die imposanten Bergformationen der Dolomiten und die frische Bergluft konnten leider nur begrenzt von Dauerbeschallung und Menschenpulk ablenken. Drei Zinnen Hütte, Dolomiten In und um die Drei Zinnen Hütte tummelten sich die Leute. Aus Platzmangel hatten sich viele Gäste direkt im umliegenden Areal auf Steinen, Vorsprüngen und dem Boden niedergelassen. Auch hier fiel es den meisten Menschen scheinbar schwer, den coronabedingten Sicherheitsabstand zueinander einzuhalten. Das Gebiet ist zwar groß und bietet mehr als genug Platz, aber der Mensch ist bekanntlich auch ein bequemes – wenn nicht manchmal sogar faules – Wesen. Wieso also entspannt in der weitläufigen Umgebung verteilen, wenn man sich auch direkt rund um die Futterquelle tummeln kann?

Wir beobachteten das Treiben aus einer sicheren Distanz, während wir unseren mitgebrachten Proviant aus den Rucksäcken verzehrten. Es war erstaunlich, mit welcher Lautstärke das Stimmengewirr von den Bergflanken widerhallte, während der Wind kaum hörbar sein Liedchen sang und einem hin und wieder den liegengelassenen Müll der Mitwanderer über die Füße blies. Alpenkrähen krächzten, während sie über unseren Köpfen flatterten und in den hier und dort arglos weggeworfenen Überresten der Lunchpakete und Hüttenspeisen geschickt nach Nahrung pickten.  

Sich kleine Rückzugsorte schaffen

Auf dem zweiten Teil unserer Rundwanderung zurück zum Auto genossen wir die Möglichkeit, im Schatten der vernebelten Drei Zinnen hier und dort vom eigentlichen Weg abzuweichen und uns von den Massen etwas abzusetzen. Wie idyllisch es plötzlich war, wenn man die Hauptmarschroute verließ und sich auf schmalen Pfaden seinen Weg durch die Gerölllandschaft bahnte. Kurze, kostbare Minuten, in denen man die fantastische Landschaft, frische Luft und das Flüstern des eisigen Bergwindes in vollen Zügen genießen konnte. So unfassbar schön. Ein Zauber, der leider stets ein jähes Ende nahm, sobald man notwendigerweise auf den Hauptwanderweg zurückkehrte um weiter in Richtung Parkplatz zu gelangen. Bergseen in den Dolomiten

Piraten-Fazit

Zugegeben, wir waren nur wenige Tage in den Dolomiten. Und sicherlich gibt es auch ein paar entlegene Regionen, in denen man noch Natur pur genießen kann. An Pragser Wildsee und den Drei Zinnen war dies jedoch leider nicht der Fall. Selbstverständlich hatten wir nicht damit gerechnet, solch Wunder der Erde für uns alleine zu haben. Wo ein Parkplatz ist, sind meist auch Touristen und Ausflügler nicht fern. Ein altes, ungeschriebenes Gesetz, das wir ausnahmslos auf jeder unserer bisherigen Reisen bestätigt sehen konnten. Orte, die bequem erreichbar sind, werden gerne angesteuert. Zu gerne, für unseren Geschmack. Denn dass es selbst in Pandemiezeiten so voll war, hat uns zugegebener Maßen schon überrascht.

Es gibt sie gewiss, diese idyllischen Instagrammomente an Pragser Wildsee und den Drei Zinnen. Morgens um vier, wenn die Mehrzahl der Urlauber noch schlummernd in den Betten liegt. Oder vielleicht zum Weihnachtsfest, wenn die Welt der Berge in kaum bezwingbaren Schneemassen versinkt, während die Mehrheit der Menschen mit ihren Familien unterm Tannenbaum Kekse und Braten verspeist. Wer aber hingegen zu akzeptablen Zeiten und machbaren Gegebenheiten die Dolomiten erkunden möchte, der muss sich auf Gesellschaft einstellen. Eine Portion Geduld und ein gewisses Maß an Entspanntheit im Gepäck schaden daher nicht. Ebenso wenig wie ein gutes Fotobearbeitungsprogramm, mit dem man die Massen an Mitmenschen im Hintergrund notfalls socialmediaverträglich einfach nachträglich aus dem Bild retouschiert, wenn man es nicht schafft geschickt drumherum zu fotografieren.

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